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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 14, doc. 147
volume linkBern 1997
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#781* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 347 | |
Titolo dossier | Paris, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 95 (1942–1942) |
dodis.ch/47333
Von verschiedener Seite war mir gesagt worden, Marschall Pétain habe anlässlich des diplomatischen Neujahrsempfanges müde ausgesehen und einen verbitterten Eindruck gemacht. Als ich ihm vorgestern Ihr Schreiben, sowie dasjenige des Herrn Bundespräsidenten Wetter überbrachte, hatte ich keineswegs diesen Eindruck. Er war von einer erstaunlichen geistigen Frische und Lebhaftigkeit und verhehlte keineswegs, dass er vor keinem Kampf zurückschrecke, weder gegen die innern Feinde, noch gegen aussen. Er öffnete beide Briefe sofort und las sie - ohne Brille - spontan durch. Er ersuchte mich, den beiden Absendern seine Dankbarkeit, und Freude für die zum Ausdruck gebrachten Gefühle zu übermitteln.
Die Unterredung dauerte cirka 1/2 Stunde und hatte keine ändern Zuhörer. Der Marschall hatte offenbar das Bedürfnis sich über einige, ihn besonders bewegende Fragen frei zu äussern, nachdem er, einmal mehr, seine grosse Sympathie für unser Land und seine Dankbarkeit der Schweiz gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte. Von besonderem Interesse ist das Folgende:
1. Zusammenarbeit mit Deutschland: «Ich habe keinen Grund die Deutschen besonders zu lieben, sie sind und bleiben unser Erbfeind (sic)», sagte der Marschall und fuhr fort: «Ich muss aber unumwunden zugeben, dass Hitler durch seinen Kampf gegen Russland ganz Europa, und damit auch Frankreich, vor einer ungeheuren Gefahr bewahrt hat. Ich bin deshalb aufrichtig bereit, mit ihm für das neue Europa zu arbeiten, wenn er mir dies auch nur einigermassen ermöglicht. Die Deutschen haben aber leider keinerlei psychologisches Gefühl und können, oder wollen, nicht verstehen, dass es auf die bisherige Weise nicht zu einer wirklich fruchtbaren Zusammenarbeit kommen kann. Wie soll ich dem französischen Volke die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit plausibel machen, wenn man mir, mit Recht, antworten kann, diese Zusammenarbeit habe sich bisher lediglich in einer ungeheuren Aussaugung Frankreichs durch Deutschland, in absolut untragbaren finanziellen Lasten für die Besatzungsarmee und in der Zurückhaltung unserer so nötigen Kriegsgefangenen bemerkbar gemacht. Die Gegner meiner Regierung sind zahlreich und tätig. Unterstützt von der sehr geschickten englischen Propaganda schlachten sie diese Tatsachen aus, wodurch die Einigung des französischen Volkes immer schwieriger wird. Ich habe dies alles in St-Florentin dem MarschallGoering3 einlässlich dargelegt und ihn beschworen, dafür zu sorgen, dass mir Deutschland entgegenkommt und mir dadurch Trümpfe in die Hand gibt, um für die Zusammenarbeit Propaganda zu machen. Goering, den ich von früher her kenne, ist ein offener Geist und hat ein gewisses Verständnis gezeigt. Eine Antwort auf unsere schriftlich formulierten Wünsche haben wir bis zur Stunde aber nicht erhalten. So dauert denn die unerfreuliche und gefährliche Stagnation in der Zusammenarbeit an und ich sehe keine Möglichkeit, dies zu ändern.»
2. In direkt leidenschaftlicher Weise äusserte sich der Marschall hierauf gegen das frühere französische Regime, das er als «pourri» bezeichnete und dessen immer noch zahlreiche Anhänger sich wieder ständig mehr bemerkbar machten. Er werde und müsse aber den schweren Kampf gegen Freimaurerei, Judentum, Nepotismus und «Geschäftlimacherei» ebenso rücksichtslos weiterführen, wie gegen den Komunismus, der sich in letzter Zeit ebenfalls wieder stärker bemerkbar mache. Mit ganz besonderer Schärfe wandte er sich gegen die Presse im besetzten Gebiet. Für einzelne dieser Journalisten sei der Ausdruck «déserteur», den er in seiner Neujahrsansprache gebraucht habe, eigentlich noch wesentlich zu mild. - Die Pariser-Presse hat übrigens, wie Sie wissen, in schärfster Weise reagiert und die Angriffe gegen Vichy verdoppelt. MarcelDéat glaubte sogar, sich in einer Radio-Ansprache verteidigen und die Regierung auf das schärfste angreifen zu müssen. -
Wenn derart der alte Herr weder seine grossen Sorgen und Schwierigkeiten verhehlte, noch seine schwere Sorge um die Zukunft Frankreichs zu verstecken suchte, so klang doch aus allen seinen Darlegungen weder Schwäche noch Resignation. Er machte wirklich den Eindruck eines Staatsmannes, der weiss was er will und seinen schweren Weg geht in der Erkenntnis, dass er siegen, aber auch verlieren kann.
3. Aus naheliegenden Gründen habe ich mich seit meiner Rückkehr aus Bern insbesondere um den Stand der französisch-amerikanischen Beziehungen interessiert. Es ist in dieser Beziehung gegenüber der Situation von Mitte Dezember letzten Jahres eine wesentliche Änderung zu verzeichnen. Die Besetzung der französischen Besitzungen St-Pierre und Miquelon durch die Streitkräfte des Generals de Gaulle hat die Beziehungen zwischen Vichy und Washington nicht verschärft, sondern zweifellos verbessert. Die französische Regierung protestierte, unter Hinweis auf die vor cirka I1/2 Jahren mit den USA abgeschlossenen Vereinbarungen betreffend Erhaltung des Status Quo für die französischen Kolonien in der westlichen Hemisphäre, sowie auf die Panama-Akte, energisch gegen die Aktion des Admirals Muselier4. Washington hat diesen Protest grundsätzlich gut geheissen und die Verhandlungen stehen unmittelbar vor einem günstigen Abschluss. Die beiden Besitzungen würden unverzüglich durch de Gaulle wieder geräumt und Frankreich muss lediglich eine gewisse amerikanische Kontrolle darüber dulden, dass auf diesem französischen Gebiet nichts Neutralitätswidriges geschieht, sowie, der einzig etwas heikle Punkt, dass der bisherige französische Gouverneur durch einen ändern ersetzt wird. Die Verhandlungen spielten sich in einer recht freundschaftlichen Atmosphäre ab und die USA, sowohl wie die französische Regierung, haben weniger als je die Absicht, die gegenseitigen diplomatischen Beziehungen abzubrechen, da dies, wenigstens bis jetzt, von Deutschland auch nicht verlangt worden ist. So kann damit gerechnet werden, dass wenigstens vorderhand die Schweiz in Frankreich nicht wesentliche fremde Interessen zu vertreten haben wird. Immerhin muss beigefügt werden, dass man hier noch unter dem Eindruck steht, Deutschland beschäftige sich ziemlich lebhaft mit seinen Beziehungen zu Frankreich und könnte eines Tages weitgehende Forderungen stellen. Der hiesige deutsche Generalkonsul Krug von Nidda, dem ich gestern seinen mir gemachten Besuch zurückgab, äusserte aber die Ansicht, dass seines Erachtens Deutschland kaum ein Interesse habe, Frankreich zum Bruch mit Washington zu zwingen.
Der obengenannte Leiter der «Zweigstelle Vichy der deutschen Botschaft in Paris» äusserte sich im übrigen ebenfalls skeptisch über die Weiterentwicklung der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Man wisse in Berlin sehr wohl, sagte er, dass die überwiegende Mehrzahl der Franzosen im Grunde keineswegs deutschland- sondern englandfreundlich sei und man traue in dieser Hinsicht wohl Leuten wie Laval und Darlan, aber nicht vollständig dem Staatschef, weniger noch gewissen Herren seiner Regierung und seiner näheren Umgebung. So lange Deutschland im schweren Kampfe gegen Russland stehe und auch England nicht niedergerungen habe, könne eine wesentliche Änderung der Waffenstillstandssituation nicht in Frage kommen, noch weniger der Abschluss eines Präliminarfriedens. Man werde eben über kleinere Fragen, namentlich wirtschaftlicher Natur weiterverhandeln, ohne aber zu einer entscheidenden Änderung zu kommen, wenn nicht die Verhältnisse Deutschland dazu zwingen könnten, Frankreich vor die Frage zu stellen, ob es für oder gegen das neue Europa sei. Was die Angriffe der Pariser-Presse gegen Vichy anbelangt, so stehe Deutschland auf dem Standpunkt, das seien interne Dinge, in die es sich nicht einzumischen habe (!) Dabei gab er allerdings zu, dass Deutschland kein Interesse habe, die Stellung Pétains und Darlans allzusehr schwächen zu lassen. Er liess dagegen deutlich durchblicken, dass Pétain nach deutscher Ansicht eben ein «attentiste» und nicht ein «collaborationniste» sei.
Von zuverlässiger Seite höre ich, dass bedeutende deutsche Truppenmassen von der Ostfront zur Erholung ins besetzte Frankreich transportiert worden sind und dass es zwischen ihnen und ändern deutschen Truppen, die bisher nicht im Osten waren, zu Auseinandersetzungen und Reibereien gekommen ist. Man behauptete auch mit Bestimmtheit, dass sich aus Russland zurückgekehrte deutsche Offiziere recht offen und heftig gegen Hitler und die Partei ausgesprochen hätten.